Produktmanager? Aber wer hat den Mut zu „Chief of Kundennutzen“?
Die meisten Produktmanager kennen das: Die Tendenz ist hoch, ständig am Produkt herumzubasteln. Aber erhöht sich damit auch der Kundennutzen bzw. der Mehrwert, den das Produkt dem Kunden liefert? Diese Frage können nur die Kunden selber beantworten.
In vielen produzierenden Unternehmen werden oft (nur) die „Features released“ und gefeiert. Klar, denn eine technische Realisierung lässt sich ja auch viel leichter messen. Und wer will sich schon eingestehen, dass die teure „Goldkante“, die dem Produkt verpasst wurde, den Nutzen des Produktes für den Verbraucher nicht wirklich steigert. Am Ende vielleicht sogar das Gegenteil bewirkt?
Um Produkte für Nutzer immer wertvoller zu machen und vom Wettbewerb abzuheben, braucht es mindestes zwei Dinge: Mut und Kundennähe!
Mut und Kundennähe
Das Wissen des Produktmanagers [PM] bildet „nur“ das ab, was er im Dialog von den Nutzern gelernt hat. Spätestens da ist das erste Problem! Der Nutzer kann nur das vermitteln, was er im Moment gerade wahrnimmt oder glaubt wahrzunehmen. Was ist, wenn sich die Welt weiterdreht und seine Anforderungen sich ändern? Was ist, wenn der Kunde seinen Bedarf nicht richtig formulieren kann? Diese Unsicherheiten kann der PM nur ausräumen, in dem er unentwegt nachfragt, verschiedene Lösungsansätze vorstellt und sich an das Ziel herantastet. Es ist ein adaptives Vorgehen, um eine immer bessere Lösung zu finden und sich dem optimalen Ergebnis zu nähern.
Kein Konflikt: Stabilität und Adaptivität
„Wie soll das denn gehen?“ wird der PM eines produzierenden Unternehmens fragen. Natürlich kann nicht das gesamte Produkt immer und immer verändert werden. Irgendwann sind zum Teil hohe Investitionen getätigt und eine Produktionslinie ist eingerichtet worden. Darauf können Produktmanagement und Entwicklerteam auf zwei Arten reagieren:
1. Das Produkt wird vom Entwicklerteam so gestaltet, dass Änderungen ohne großen Aufwand häufiger möglich sind. Das kann so aussehen:
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- In der Regel sind Produkte im Maschinenbau aus mehreren Komponenten zusammengesetzt. Eine oder mehrere Komponenten liefern die Kernfunktionalität (z.B. ein Messsystem). Diese Kernfunktionalitäten werden oft aufwendig, in kritischen Prozessen, mit einer hohen Wertschöpfung hergestellt. Mit anderen Worten: Veränderungen in diesem Bereich sind teuer und gefährden die Qualität. Diese Komponenten werden oft über Jahre unverändert hergestellt, um hohe Qualität und effiziente Herstellung zu gewährleisten. Und das ist gut so!
- Andere Komponenten des Produktes sind allerdings weniger empfindlich gegen Veränderungen und können oder müssen öfter erneuert werden. Sei es das (Elektronik-) Komponenten nicht mehr geliefert werden können, oder dass sich Schnittstellen verändert haben. Dies wären Gelegenheiten, nicht nur technische Anpassungen zu realisieren, sondern auch Features, die vom Kunden als deutlicher Mehrwert wahrgenommen werden. Wie großartig wäre es, wenn der Produktmanager vorbereitet wäre und bei dieser Gelegenheit diese Mehrwertsteigerungen in die ohnehin notwendige Veränderung mit einbaut? Wenn er die Zeit zwischen den Releases genutzt und bei den Nutzern die neuen Features erforscht und abgetestet hat? Diese Produktänderungen also eine gute Chance auf Markterfolg haben. Cool!
- Dienstleistungen als Ergänzung zum Kernprodukt! Dienstleistungen machen für viele Kunden den entscheidenden Mehrwert bei der Lieferantenauswahl aus. Egal ob sie für jeden Kunden individuell angeboten werden oder in festen Prozessen – persönlich durch Mitarbeiter oder durch einen virtuellen IT-Service. Dienstleistungen geben dem Unternehmen in jedem Fall die Möglichkeit, ihr Produkt sehr kurzfristig (stündlich, täglich, wöchentlich) an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen. Sie sind „die“ Möglichkeit für ein Unternehmen, Kunden zu zeigen, wie gut aktuelle Bedürfnisse verstanden und in Mehrwert umsetzt werden – und wie das Unternehmen von ihm lernt. Um Dienstleistungen zu realisieren, muss das Entwicklerteam diese allerdings schon beim (Hardware-) Produktdesign berücksichtigen.
2. Das Produktmanagement bereitet jede Anpassung vor und untermauert sie mit Kundentests.
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- Bevor hohe Investments getätigt werden, stellt das Produktmanagement dem Nutzer Modelle, Prototypen und/oder anderen Veranschaulichungen vor. Diese fangen bei einfachen Zeichnungen und Pappmodellen an und reichen bis zu Simulationen in der Virtual Reality oder realitätsnahen Modellen aus dem 3D-Druck. Allen Ansätzen ist zu eigen: Sie bilden immer nur die eine Teilfunktionalität ab, die dem Nutzer vorgestellt wird, um sein direktes Feedback einzuholen. So verwandelt das Produktmanagement riskante Annahmen in sicheres Wissen.
- Die Investition in Zeit und Geld zahlt sich aus. Das ganze Unternehmen lernt und baut Produkte, die die Kundenerwartungen besser erfüllen. Dadurch sichert es sich den Markterfolg. Oder andersherum: Zeit senkt Risiko.
- Übrigens: Nicht jede Erkenntnis, die der Produktmanager im Markt gewonnen und abgetestet hat, muss (schnellstens) im Produkt umgesetzt werden. Der Release kann warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
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Sind Sie ein mutiges Unternehmen?
Dass der Produktmanager Kundennähe unbedingt braucht, sollte spätestens jetzt einleuchten. Aber wieso Mut? Den braucht man für das Aushalten! Auszuhalten, dass Aufwände nicht sofort in Produktfeatures umgesetzt werden. Auszuhalten, dass Features in die Mülltonne wandern, obwohl Einzelne im Unternehmen sie „super“ finden, aber der Kunde darin keinen Mehrwert sieht. Und auszuhalten, dass nicht alles bis ins kleinste Detail zu kontrollieren ist. Aber dazu kommen wir noch.
Was nützen umgesetzte Features, eingehaltene Deadlines oder erfüllte Kostenziele, wenn der Kunden keinen gesteigerten Nutzen wahrnimmt? Jene lassen sich zwar leicht messen und sind (leider) oft die Basis für die Bonusregelung. Die eigentlichen Ziele des Unternehmens sind durch diese Indikatoren nicht erreicht. Auch wenn das (physische) Produkt pünktlich lieferbar ist und im Katalog total schick aussieht, garantiert das noch lange nicht, dass die Kunden es auch annehmen.
Wie aber mit Zielen wie Kundenzufriedenheit und Kundenutzen umgehen, die z.B. einem Controller so “schwammig” erscheinen? Sicher, diese Ziele lassen sich nicht so leicht messen. Unser Tipp: Geschäftsführung und Produktmanagement einigen sich auf die passenden KPIs, die sich an einem langfristigen Erfolg orientieren. (z.B. Net Promotor Score, Anteilsveränderungen Produkt/Gesamtportfolio, Reklamationsrate, Kundenbindung oder spezielle ROI). Die Unternehmensleitung muss also den Mut haben, nicht alles bis ins Letzte kontrollieren zu können und nicht jeden Aufwand direkt und unverzüglich einem Umsatz zurechnen zu können. Im Gegenzug werden bessere Produkte langfristig zu mehr Erfolg am Markt führen.
„Chief of Kundennutzen“ – Der coolste Job der Welt!
Produktmanager, die ihren Job verstanden haben, sehen sich daher als Unternehmer im Unternehmen und halten einen engen Kontakt zu allen Stakeholdern in der Wertschöpfungskette. So bleiben sie immer über den aktuellen Bedarf informiert und können Impulse für die Steigerung des Kundennutzens frühzeitig in die Teams ihres Unternehmens geben. Das ist die originäre Aufgabe des Produktmanagers: Produkterfolg durch Steigerung des Kundennutzens! Was den Erfolg eines Produkts für das Unternehmen ausmacht, darüber sollten sich Geschäftsführung und Produktmanagement im Vorfeld einer Produktmodifikation einigen. Es ist den meisten Kunden egal, ob physisches Gerät oder eine Dienstleistung die Antwort auf ihr Problem ist: Hauptsache ihr Problem ist effektiv gelöst!
Wir glauben, der Titel „Produktmanager“ liefert ein falsches Bild über die eigentlichen Tätigkeiten der Rolle. Natürlich gibt es Phasen im Produktlebenszyklus, wo andere Aufgaben einen größeren Anteil nehmen. Aber den Kundennutzen aus den Augen zu verlieren und keinen Kontakt zu den Stakeholdern zu haben, ist eine Todsünde. Ohne diesen Kontakt wird dem Unternehmen die Möglichkeit genommen, zu innovieren und Lösungen für aktuelle Probleme zu präsentieren.
Also: Wann ernennen Sie Ihren „Chief of Kundennutzen“?
Der Autor
Jörg Siedel ist mit Leib und Seele Berater für Produktmanagement in der produzierenden Industrie. Er schult die interdisziplinären Teams seiner Kunden im gemeinsamen Kampf gegen Komplexität und für Produkte, die Kunden begeistern. Die Zutaten für den Erfolg: Denkweisen die Innovationen ermöglichen, Methoden, die wirken und Kommunikationskultur die Brücken für gemeinsame Erfolge baut.
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